Bestandsaufnahme – Noch sechs Monate

Wow, in exakt sechs Monaten sind wir auf dem Weg in die Chepang-Schule. Sechs Stunden über Land auf Straßen, die hier bei uns wohl nicht als solche bezeichnet werden. Dann ein Wochenende als Gäste der Schule. Entschleunigte Akklimatisation.

Umpacken in Kathmandu und dann mit dem Flieger nach Lukla. Maximalgepäck 15kg. Ist das viel oder wenig? Zum Selbertragen zu viel und um sich 12 Tage im Himalayagebiet ausreichend zu kleiden zu wenig? Passt das alles in eine Duffelbag mit 90l? Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme, nachdem ich das Internet firmentechnisch durchkämmt habe und alle Lieferservices zwischenzeitlich den Weg zu meiner Haustüre auswendig kennen.

1.800g die Duffel, 1.300g die Wanderschuhe, 1.300g der Schlafsack, 590g die Wanderstöcke, 750g die dicke Daunenjacke, halt, wenn ich die anhabe, dann geht nur die Daunenweste mit 280g ins Gepäck. Dann die anti-odour-keep-you-warm-sex-appeal-Merinosachen…zwei Langarm, zwei Kurzarm, die lange Buxe, die kurzen Boxer, die Fleecehose für das gemütliche Zusammensein am Yakfeuer… gute 1.500g. Zwei Wanderhosen mit Gürtel 550g und die Merinosocken 350g, damit die Füße nur qualmen aber nicht riechen. Die Regenjacke 335g, die Sonnenbrille 80g und der Buff 35g.
Das macht 8.170g, d.h. zwei Drittel meines Gepäcks sind verbraten, wenn unser Träger für jeden von uns 12kg schultert. Microfaserhandtuch, Kulturbeutel, Taschenlampe, extra Schnürsenkel, Sonnenhut, Handschuhe, Sonnen- und Mückenschutz, Feuchttücher und Klopapaier…da sollten vier Kilo reichen, hoffe ich. Alles über 12kg geht in den Rucksack und muss selber getragen werden. Und in der sauerstoffarmen Luft und nach stundenlangem Trekking spürt man jedes Gramm, so sagen die, die schon mal da waren. Travel light ist die Devise. Auf meinem Merino-T-Shirt steht „I don’t know where I’m going but I’m on my way“ und das passt. In den zweiten sechs Monaten wird die Ausrüstung zum Einsatz kommen und für die Kilobeschränkungen weiter optimiert. Läuft…

Sherpa

Neben der Bevölkerungsgruppe der Chepang werden Klaus und ich noch mindestens eine Gruppe näher kennenlernen, die Sherpa. Vielleicht werden unser Führer und unser Träger Sherpa sein, und während der eine uns den Himalaya erklärt, trägt uns der andere täglich stundenlang 25kg in die Lodges voraus, und das fast zwei Wochen lang. Grund genug, das Internet mal nach Informationen über die Sherpa zu durchforsten.

Auf Wikipedia lernt man zunächst, dass die Sherpa vor ca. 500 Jahren aus dem Osten Tibets über den Nangpa La-Pass in die Solu-Khumbu Region im Himalaya einwanderten. Die 150.000 – 180.000 Sherpa leben heute noch in Clans und streng nach den Merkmalen Exogamie und Patrilinearität. Als Vorname wird gern der Wochentag verwendet, an dem man geboren wurde. Nachnamen sind eher ungebräuchlich, oft wird Sherpa als Nachname verwendet. Ab 1900 wurden Sherpa als Hochgebirgsträger für Himalayaexpeditionen angeheuert, der berühmteste Sherpa war und ist Tenzing Norgay Sherpa, dem 1953 zusammen mit Sir Edmund Hillary die Erstbesteigung des Mt. Everest gelang.

Die Sprache Sherpa wird nur gesprochen und nicht geschrieben…aber wie sollen wir dann wenigstens ein paar Brocken Sherpa lernen? An dieser Stelle verweist Wikipedia auf die Seiten Nepalresearch.org. oder Sherwa.de. Diese Seiten bieten zu jedem erdenklichen Thema Hintergrundinformationen zu Nepal und Sherpa und auf den Startseiten gibt es rechts und links jeweils ein (identisches) Lexikon Sherpa-German. In bestem Deutsch hat Lhakpa Doma Sherpa hier den Grundwortschatz und einfache Konversation zusammengetragen, nachdem sie in den Sechzigerjahren nach Bad Honnef auswanderte. Die Einleitung zum Volk der Sherpa ist unbedingt lesenswert.

Aha, die Sherpa nennen sich selbst Sherwa (shar-wa), was soviel wie „Leute aus dem Osten“ bedeutet. Es herrschen konkurrierende Meinungen darüber, in welche Schriftform Sherpa gebracht werden soll, um den Fortbestand der Sprache zu sichern. Die Sherpa-Elite plädiert für Tibetisch, die jüngere Generation für die Devanagari-Schrift. Ich kann weder noch, also steige ich gleich ein: Nye min Michael hin – Ich heiße Michael. En chesung – Ich bin müde (sicher wichtig!). Phoki katiki minti kangsi? – Wie heißt dieser Berg?

Wenn wir dann endlich mal unsere Schlafsäcke einweihen und es morgens ein Frühstück gibt, sage ich: Gaby sama simbu zonok – Gaby hat leckeres Essen gekocht. Für Klaus habe ich auch einen tollen Satz gefunden: Anggur sang dep gokiwi – Man sollte auch Weinstöcke anbauen. Unglaublich, was Lhakpa Doma Sherpa auf 182 Seiten alles gesammelt und geordnet hat. Thuche – Danke! Und ich habe auch erfahren, was Lhakpa bedeutet – Mittwoch.

Everest Base Camp Duffel

B7FCC885-314A-40AC-8E3D-8E5053D91394Nein, wir gehen nicht auf den Mt. Everest. Wir gehen auch nicht bis ins Base Camp. Wir bleiben auf unserer Khumbu-Tour im Dreieck Namche Bazaar-Thame-Tengboche/ Dingboche, wo es meist eine einfache, aber eben doch noch eine Infrastruktur gibt (oder geben soll, was weiß ich schon?).

Klar, der Mt. Everest hat seinen Reiz und der gleichnamige Film von 2015 zeigt in tollen Bildern, welches Suchtpotential der Everest hat und welche Gefahren eine 4C25FC97-398E-4784-855C-2B2286B0C2CFBesteigung birgt, heute noch genauso wie im filmisch umgesetzten Katastrophenjahr 1996. Die ersten Minuten des Films sind wie ein Schnelldurchlauf unserer Tour. Ankunft in Kathmandu, Flug nach Lukla, die Hillary-Brücke, die Ankunft in Namche, der Besuch im Kloster Tengboche…und immer mal wieder ein Blick auf den Mt. Everest.

Das Verlangen, den Mt. Everest zu bezwingen oder ihm ganz nahe zu sein, hat sich zwar durch diesen Film nicht verstärkt, aber den produktplatzierenden Marketingstrategen bin ich doch auf den Leim gegangen. F0E834ED-2853-4695-B151-2866BB44D6FCDie Ausrüstung für einen Trek im Himalaya muss in eine Duffel-Tasche. Davon gibt es viele, Helly Hansen, Patagonia, The friendly Swede usw. Sogar unsere Reiseagentur bietet eine Duffel an.

Und dennoch gibt es eine Marke, die ihre Duffel eben nach dem Mt. Everest benennt und damit natürlich impliziert, für etwas ganz Großes zu taugen. Die Duffel-Tasche hat ihren Namen von der belgischen Stadt Duffel, deren Textilindustrie einst einen schweren Wollstoff für Armeemäntel und Seesäcke herstellte. Heute sind die Taschen gefühlt aus LKW-Plane, farbenfroh, wasserdicht, strapazierfähig und in unterschiedlichen Größen erhältlich. 589A963A-B785-4B0A-8BD8-988703238C60

Und damit beginnt Phase 2 der Vorbereitungen, denn ab heute gibt es neben der Gepäckbeschränkung in Kilogramm noch eine in Liter. Aber das ist ein Thema für einen weiteren Blog. Denn alles, was in diese The North Face Everest Base Camp Duffel nicht passt, bleibt hier.

Chepang

Gibt man auf Google Chepang ein, bietet die Suchmaschine zuerst die Dokumentation „Chepang-Nepals vergessene Ureinwohner“ in der 3sat bzw. ZDF-Mediathek an. Diese sehenswerten 30 Minuten über die Arbeit von Daniela Jährig und Steffen Schöley, den Initiatoren von LiScha Himalaya e.V., zeigen eindrucksvoll die Lebensumstände der Chepang, die vor gut 50 Jahren in die Region Kankada zwangsumgesiedelt wurden. Die dazugehörige Internetseite bietet Hintergrundinformationen und beeindruckende Bilder vom Volk der Chepang.

LiScha Himalaya folgt bei den Treffern zu Chepang gleich hinter der englischen Wikipediaseite, die allerdings wenig Neues bietet.

Danach kommen die Treffer zu Chepang, einer nepalesischen Metalband, die sich dem Grindcore verschrie(be)n hat. Die angebotenen Snippets dieser Band sind laut, mäßig melodiös und der Gesang ist wie für Grindcore typisch bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Eine internationale Fangemeinde scheint diese Band aber zu haben…auch wenn ich nicht dazu gehören werde.

Die Deutsche Welle brachte 2015 ein Interview mit der deutschen Kulturwissenschaftsstudentin Milena Rabe, die zur Zeit des Erdbebens die Navodaya-Schule besuchte. Sie war dort, wo wir im Oktober sein werden.

Unsere Internetseite der katholischen Kirchengemeinde Heilig-Geist, die mit der Navodaya-Schule direkt verlinkt ist, kommt gleich nach der Deutschen Welle und schafft es zum Thema Chepang auf die erste Seite von Google! Das ist schön und auch ein wenig beeindruckend, es zeigt aber auch, dass das Schicksal der Chepang im großen Weltengefüge ein Schattendasein fristet. Umso wichtiger, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten die Navodaya-Schule weiter unterstützen und somit jährlich über 200 Kindern einen Schulbesuch ermöglichen.

Navodaya School

 

Das Abarbeiten der Packliste

In wenigen Stunden geht 2017 zu Ende und das Nepaljahr 2018 beginnt. Höchste Zeit, sich um die Packliste und die Ausrüstung zu kümmern. Die einschlägigen Blogs und Foren zu Nepal empfehlen Dinge, die gefühlt von der NASA erfunden wurden und von denen ich noch nie gehört habe. Egal, rauf auf die Liste und in weiser Voraussicht vor Weihnachten mal beiläufig kommunizieren und siehe da – schon hat die Liste drei Haken, erledigt.

Die bpa-freie Flasche, unentbehrlich, um während des Trekkings täglich auf bis zu fünf Liter Flüssigkeit zu kommen und um den Verbrauch an PET-Flaschen zu minimieren. Abends mit heißem Wasser befüllt wird sie zur Bettflasche, die morgens den ersten Liter chloriertes Wasser u.a. zum Zähneputzen spendet. Multitasking to the Max! Chlortabletten seien wichtig, damit Bakterien den Darm nicht über Gebühr strapazieren. „Toxic to aquatic life with long lasting effects“, aber Trinken geht? Fünf Mal am Tag? Da sind weitere Recherchen nötig. Aber der Doktortitel von Klaus muss ja zu was gut sein.

Schließlich der oder das Buff. Im Fränkischen sicher missverstanden, in Nepal schlicht Pflicht. Halstuch, Stirnband, Mundschutz und Mütze in einem. Schutz vor Kälte, Sonne und Staub. Leicht, waschbar und in universeller Größe. Das gepunktete Baumwolltaschentuch, das sich John Wayne über die Nase zog, hat ausgedient. Bald geht es los…Gutes Neues Jahr!

 

 

Die Frage nach dem Warum

Warum Nepal? Ich bin weder ein großer Wanderer noch ein fleißiger Spaziergänger und die Euphorie, wenn es an die jährliche Urlaubsplanung geht, muss von der besten Ehefrau der Welt regelmäßig befeuert werden. Vielleicht liegt es daran, dass ich beruflich in den letzten 30 Jahren das Privileg hatte, viel reisen zu dürfen. Australien, Neuseeland, Südafrika, USA…Island, Skandinavien, Baltikum…wieviele europäische Hauptstädte fehlen noch? Rom…dann muss ich schon überlegen.

Was bleibt? Südamerika? Nein. Russland? Kaum. Der mittlere Osten? Israel oder die Emirate vielleicht. Japan? Unwahrscheinlich. Baden auf Bali? Nö. Tee in Thailand? In Bangkok bin ich mal gelandet…

Warum Nepal? Die kurze Antwort lautet: weil an Klaus‘ Geburtstag ein Glas Wein zum anderen kam und er sich ein paar Tage danach noch immer daran erinnerte. „Inspirierend und visionär“, nannte er die Idee nach Nepal zu gehen.nepal bridge

Diese beiden Adjektive wären mir eher nicht eingefallen. Raus aus der Komfortzone, mal wieder ein Visum beantragen, ein bisschen „Ich bin dann mal weg“ – alles Gründe mit mehr Bodenhaftung, zumal wir in der glücklichen Lage sind, diese Reise durchorganisiert antreten zu können und nicht mit 50 Rupien im nepalesischen Niemandsland nach einer Unterkunft suchen müssen.

Komischerweise sind aber viele Reaktionen auf diese Reise durchaus inspirierend: “Das wäre nicht meine Reise, aber ich verstehe, warum ihr das macht.“ oder „Vor zehn Jahren wäre ich noch mit.“ oder “Ich hatte diese Idee auch, fand aber niemanden, der mitging.“. Gibt es Gelegenheiten, die nie mehr wiederkommen? Einen Zeitpunkt, den man nicht verpassen darf? Kann es sein, dass das Leben nicht wartet?

Vor die Frage gestellt, ob wir die Chepang-Schule mit Flugzeug oder per Auto erreichen wollen, antwortete Klaus: (…) aber ich hätte spontan gesagt, es ist immer gut, wenn die Seele im Tempo mitkommt, deshalb wären ganz spontan die 6 Stunden Countryside mein Favorit. Was meinst Du? Immerhin wäre das unsere erste Überlandfahrt in Nepal und zum Eintauchen in Land und Leute vermutlich die intensivere Variante.

Das war die lange Antwort.

Es gibt kein Zurück…

Nachdem sich die Idee in der Umsetzung befindet und auch die Kommunikation „nach außen“ Fahrt aufnimmt, gibt es jetzt also kein Zurück mehr. Die Trekking-Agentur ist gefunden, Turkish Airlines fliegt uns am 10.10.2018 nach Kathmandu und die Gastfreundschaft von Fr. Michael, dem kirchlichen Vorsteher der Chepang-Schule und Ordensbruder unseres ehemaligen Steinheimer Pfarrers Pater Georg, kennt keine Grenzen.

„What an exciting news you are giving us today!! We are overjoyed to hear that you and Klaus are coming to visit us in October 2018. You are cordially welcome. Steinheim parish is very close to Navodaya Institution and it will be a wonderful occasion to have two of you with us, which will certainly increase our bond together. We will render all what we can to make your Nepal visit a memorable one. You are welcome to stay here as many day as you want. Your longer stay with us will increase our joy.“ 

Was soll man dazu sagen!? Vom 12.-15.10.2018 sind wir Gäste der Chepang-Schule. An diesem Wochenende werden die sog. cultural competitions stattfinden. Was uns da erwartet, weiß ich nicht. Klaus hat bereits angekündigt mit einer Gitarre aktiv daran teilzunehmen – ob die Chepangschülerinnen und -schüler Simon&Garfunkel kennen?

Obwohl es noch über zehn Monate sind, ist Nepal bereits allgegenwärtig und ich beschäftige mich in unregelmäßigen Abständen mit japanischer Enzephalitis, den gefährlichsten Flughäfen der Welt und profanen Dingen wie Schlafsack.
In der kürzlich gesendeten Doku von ntv hat der Flughafen Lukla den zweifelhaften Wettbewerb locker gewonnen.

The aircraft on the runway of the Tenzing-Hillary airport Lukla – Nepal, Himalayas

Die 480m lange und seit 2001 geteerte Start- und Landebahn und die Infrastruktur in Lukla erlauben nur Sichtflüge und die 12%ige Steigung soll verhindern helfen, dass die Propellermaschine am Ende der Landebahn in den Himalaya donnert.

Ich halte es da mit Wilhelm Tell – es führt kein anderer Weg nach Küssnacht bzw. in den Himalaya.

Vielleicht findet Gaby ja ein Bild vom Tenzing-Hillary Airport? Natürlich tut sie das! Wir lesen uns…