Zwei Freunde – zwei Blickwinkel

Dieses Jahr ist es im Khumbu für einen Oktober ungewöhnlich kalt. Das lässt sich morgens nach Sonnenaufgang in Thame auf 3.900m auf dem Weg vom Schlafsack zur Morgentoilette unmittelbar bestätigen. Gütiger, ist das kalt! Zähneputzen bei gefrorenem Wasser geht nur mit Trinkwasser aus der Vorratsflasche, der Rest an Schmalspur-Körperpflege wird mit feuchten Waschtüchern aus der Verschlusspackung erledigt.

Nach dem Frühstück steigen wir entlang des mächtigen Bergmassivs von 6000ern, aus deren Mitte der Thamserku herausragt, in Richtung Namche Bazar ab. Im Vorbeigehen in Thamo lauschen wir erstmals den Klängen, Tönen und Gesängen einer „puja“, der Gebetszeremonie buddhistischer Mönche, aus einem häuslichen Gebetsraum heraus. Es erklingen keine Lieder im europäischen Kirchenstil, sondern ein tonal gleichförmiges Gebetsgemurmel mit animalisch anmutender Instrumentaluntermalung aus Muscheln, Becken und Rohren. Der Rest des Morgens ist schnell erzählt: rauf, immer bergauf. Zur Lunchzeit erreichen wir Syangboche, eine kleine Hochebene auf 3.700m, auf der sich ein 400m langes unbefestigtes Flugfeld befindet. 1995 hatte ein privates Unternehmen begonnen, den „Syangboche Airstrip“ zu bauen und mit einmotorigen Flugzeugen für Trekker und Expeditionen anzufliegen. Nach massivem Protest von Einheimischen, die um ihre Existenz fürchteten, wurde der Flugbetrieb 1996 von der nepalesischen Regierung wieder verboten. Die Szene dieses seit 20 Jahren verlassenen Flugplatzes in dieser unwirtlichen Gegend wirkt gespenstisch.

Nach einer weiteren Stunde Wegstrecke erreichen wir Khumjung. Für den Nachmittag steht der Besuch des Klosters auf dem Reiseprogramm, und dass man von einem der örtlichen Hügel aus den Sonnenuntergang genießen könne. Letzteres fällt mangels Sonnenschein aus, es ist nebelig und nasskalt. Es bleibt der Besuch des zweitgrößten Klosters der Khumbu-Region mit einer darin ausgestellten Attraktion. In der Mitte des Gebetsraums ist in einem Glasschrein der angebliche Skalp eines Yeti ausgestellt. Internationale Zoologische Untersuchungen haben zwar keine Hinweise auf eine bislang unbekannte Primatenart erbracht, aber die Menschen glauben an dessen Existenz. Und die Mönche nutzen den Skalp auch in Zeremonien und weisen ihm eine religiöse Bedeutung zu.

Der Rest des Tages könnte im Besonderen mit der Überschrift „Zwei Freunde – zwei Blickwinkel“ unschrieben werden. Michele leidet unter der körperlichen, auch erkältungsbedingten Belastung, nachlassender Motivation, der Dauerkälte und den immer weiter sinkenden Zivilisationsstandards. Ich dagegen genieße einen weiteren Nachmittag des erzwungenen Nichtstuns. Dass niemand etwas von mir will und dass ich ohne inneren oder äußeren Rechtfertigungsdruck einen Nachmittag einfach so liegend und an die Decke starrend oder mit geschlossenen Augen in meinem Schlafsack zubringen kann.

Unterschiedliche Wahrnehmungen dieser Art begleiten uns bei dieser Reise nicht nur an diesem Montag.

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